
5. Aug. 2025
Am 1.8.2025 hat der EuGH auf Anfrage des obersten Estnischen Gerichts in einer wichtigen Frage hinsichtlich des Schutzstatus europäischer Vogelarten entschieden (Urteil Az. C-784/23). Grundlage war ein Vorab-entscheidungsersuchen der Behörde im Rahmen einer Auseinandersetzung um Holzfällarbeiten während der Brutzeit.
Die zuständige estnische Umweltbehörde hatte wegen der möglichen Tötungen und Störungen von Vögeln während der Brutzeit zum Schutz der Brut von Vögeln Holzfällungen untersagt. Dagegen hatte sich der Eigentümer und Nutzer dieses Waldes gerichtlich gewehrt. Der EuGH bekam dazu einige grundlegende Fragen vorgelegt, die sich insbesondere auf die Auslegung des Artikels 5 der Vogelschutzrichtlinie beziehen.
Relevant sind in diesem Zusammenhang die Bestimmungen des Art. 5 der VSchRl:
„Unbeschadet der Artikel 7 und 9 erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Art. 1 fallenden Vogelarten, insbesondere das Verbot
a) des absichtlichen Tötens oder Fangens, ungeachtet der angewandten Methode;
b) der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und der Entfernung von Nestern;
c) […]
d) ihres absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirkt;
e) […]
Es ging in dem Verfahren v.a. um die Fragen,
• welche Vogelarten von diesen Bestimmungen betroffen sind, also nur gefährdete oder alle (siehe auch Verfahren Skydda Skogen),
• ob es relevant ist, dass es sich um eine absichtliche Tötung oder Störung handelt,
• welche Rolle der Erhaltungszustand bei den Erwägungen spielt.
Urteil des EuGH:
Die angesprochenen Verbote (Tötung bzw. Beschädigung von Individuen, Zerstörung von Nestern, erhebliche Störungen) entfalten Wirkung für alle europäischen Vogelarten. Darauf, ob sie in irgendeiner Weise gefährdet oder im Bestand rückläufig sind, kommt es nicht an. Der EuGH zählt dazu in seinem Urteil diese im Streitfall in Estland festgestellten Vogelarten auf: Waldlaubsänger, Zaunkönig, Amsel, Singdrossel, Buchfink, Kleiber, Gimpel, Zilpzalp, Fitis, Zwergschnäpper, Buntspecht, Eichelhäher, Gartengrasmücke, Heckenbraunelle und Rotkehlchen.
Für die Frage der Absicht kommt es nicht darauf an, dass der Handelnde die Tötung eines Exemplars einer geschützten Art die Störung dieser Arten oder die Zerstörung von Eiern gewollt hat. Es reicht dabei die Tatsache, dass durch die menschliche Tätigkeit (hier das Fällen von Bäumen), eine solche Tötung, eine solche Störung, eine solche Zerstörung oder eine solche Beschädigung in Kaufgenommen wird. Anders als für die Störung kommt es bei der Tötung oder der Zerstörung von Lebensstätten auch nicht auf irgendeine messbare Auswirkung auf die Population an. Dies bestätigt den Individuen-Bezug des EU-weit geltenden Artenschutzrechts.
Der EuGH unterscheidet bei seinen Überlegungen aber auch nicht zwischen der beabsichtigten Form der Nutzung (hier: Kahlschlag oder Schirmschlag), weil er offenbar davon ausgeht, dass es in beiden Fällen zur Tötung, zu Störungen oder zur Zerstörung von Nestern oder Eiern kommen wird.
Weiterführende Informationen:
Urteilstext EuGH:
Berichte im Umweltforum Osnabrück
https://umweltforum-osnabrueck.de/news-details/artenschutz-fuer-voegel-bleibt.html
Singendes Rotkehlchen (Foto: MT Krieger)
